Todo cambia!
Früher bewegte sich das Leben vieler von uns
über Jahre in gewohnten Bahnen.
Schule, Arbeit, Familiengefüge –
und die politische Heimat waren vertraut und beständig.
Beständig und geregelt
waren meistens auch unsere Wochenenden.
Gefüllt mit Arbeit, Haushalt
und dem Besuch bei Verwandten und Freunden.
Doch: alles verändert sich – todo cambia!
Natürlich bleiben Arbeit, Haushalt und der Verwandtenbesuch!
Aber hätten wir uns träumen lassen
ein langes Wochenende, drei ganze Tage
mit 1599 anderen, vor allem Frauen, zu verbringen
von denen wir die Allermeisten nicht kennen
die Sprache mancher kein bisschen beherrschen
und uns doch verstehen?
Todo cambia!
Heute fühlen wir uns schon nach wenigen Stunden vertraut:
Diese Frau dort hat wie du um dieses freie Wochenende gekämpft
sie hat die Kinder unter- oder mitgebracht
mit dem Mann
und vielleicht mehr noch mit sich selbst gestritten:
dass dieses anstrengende Wochenende
noch bedeutsamer ist als die wohlverdiente Erholung
oder sogar die wichtige Familienfeier.
Todo cambia!
Sie hat wie du seit Monaten oder Wochen gespart,
um sich dieses Wochenende leisten zu können
sie hat wie du gekocht oder gebacken,
Foren, Workshop oder Stand vorbereitet
und mitgeholfen einen internationalen Gast
für die Reise zu den Frauen in Deutschland zu gewinnen.
Plötzlich ist es normal,
dass wir uns wie alte Bekannte fühlen,
mit Wildfremden binnen kurzer Zeit Freundschaft schließen –
dass wir uns bei einer Reise zu den Frauen der Welt
zuhause fühlen!
Todo cambia!
Aus der ganzen Welt erhielten wir heiße Wünsche zu diesem Ratschlag,
insbesondere von den Frauen, denen Schikanen und Willkür die Einreise verweigerten.
Und – wir erhielten auch Grüße von 14 Parlamentarierinnen, Ministerinnen und sogar von der Bundeskanzlerin.
Todo Cambia!
Heute erscheint es selbstverständlich,
von weit entfernten, bisher fremden Ländern zu hören
über das Arbeitsleben, die Arroganz der Regierung oder den Alltag der Frauen –
die notwendigen Kämpfe
und wie aus einem Munde zu sagen: wie bei uns!
Todo cambio!
Schon früher waren wir
solidarisch mit dem sozialen Projekt, das eine Hilfsorganisation durchführte,
solidarisch, wenn eine Naturkatastrophe oder Hungersnot Hunderttausende heimsuchte,
solidarisch mit dem Kampf eines Volkes um Befreiung.
Hoch die internationale Solidarität
rufen wir schon seit Jahren bei Feiern und Festen
oder auf unseren Demonstrationen.
Und doch bekommt dieser Ausruf heute eine neue, tiefere Bedeutung.
Todo cambia!
Immer stärker und tiefer erkennen wird das,
was viele 1000 Kilometer von uns entfernt passiert
als unsere ureigenste Sache.
Wir hören von den über 1000 AIDS-Waisen in einer einzigen Region Südafrikas und wir empfinden so stark für sie, als wären sie unsere Kinder.
Wir hören von der Frau auf den Philippinen, deren armselige Behausung demoliert wird und sind empört, als wäre es unser Haus!
Die Würde der palästinensischen Frau ergreift uns, die ihre Kinder zum Stolz auf ihr Land und auf den Kampf um Freiheit erzieht.
Wir hören von den Madres Communidades in Kolumbien, dass ihnen die wenigen Mittel für ihre selbst organisierte Kinderbetreuung gestrichen werden
und kennen das vom eigenen Leibe!
Wir hörten von der Ermordung der fünf Textilarbeiterinnen in Bangladesh
Und von Anna Politkowskaja, der mutigen Journalistin in Russland.
Wir waren erschüttert und wütend und beschlossen, von ihrer Zivilcourage und Todesverachtung zu lernen; ihre Träume und Ziele in uns aufzunehmen und dadurch weiter zu tragen!
Wir hören von dem Streik der General Motors Arbeiterinnen und Arbeiter in Portugal oder in den Krankenhäusern und Kliniken anderer europäischer Länder und wissen: das sind auch unsere Streiks!
Todo cambia!
Die ArbeiterInnen der Welt in der modernsten Produktion
Die KämpferInnen für den Frieden rund um den Globus
Die HüterInnen der Umwelt in der einen Welt –
sie alle werden unsere Verbündeten:
unsere Zukunft ist ihre Zukunft – und ihre Zukunft ist unsere Zukunft!
Todo cambia!
Mit dem geweiteten Blick
dem geweiteten Horizont
und dem weit geöffneten Herzen
verändern wir uns auch selbst.
Da sind die Jugendlichen, die „Mama mach mal “ nicht einmal aussprechen mussten – so selbstverständlicher Alltag war das für sie – und vielfach auch für uns Mütter!
Sie präsentierten uns
gestern ein wundervolles Buffet für über 1000 Menschen –
und wir konnten genießen und uns verwöhnen lassen!
Todo cambia!
Da sind die, die sich bisher für schüchtern hielten und nun vor versammelter Mannschaft eindrucksvolle Reden hielten.
Todo cambia!
Da sind die, sie sich als unpolitisch bezeichneten und auf einmal in ihrer Haushaltskasse die Weltwirtschaft entdecken.
Todo cambia!
Da sind die, deren Krankheit ihnen selbst den Regenbogen grau in grau erscheinen läßt –
und die unversehens mit vielen über persönlichstes sprechen und Trauer und Hoffnung teilen konnten.
Todo cambia!
Da sind die, die bisher voller Talent ihr Familienleben managten –
und entdecken: ich kann und will noch viel mehr Verantwortung übernehmen! Todo cambia! Da sind die, die Lehrer sind und zu Schülern werden – und umgekehrt.
Todo cambia!
Und weil
die Welt sich verändert
weil wir uns verändern
weil wir neugierig,
weil wir tatendurstig sind
weil wir ungeahnte Kräfte spüren
und Grenzen überschreiten wollen –
haben wir einen Brief geschrieben.
An einen wildfremden Mann!
Todo cambia!
Dieser Mann hat den Mut,
ich vor die UNO zu stellen und zu sagen:
gestern war der Teufel hier, es riecht noch nach Schwefel.
Denn in Wirklichkeit ist der größte Terrorist
der Präsident der Vereinigten Staaten!
Todo cambia!
Dieser Mann hat die Courage,
vom feierlichen, streng reglementierten Welttreffen der Staatschefs in Argentinien aufzustehen
und gemeinsam mit Diego Maradonna an der Spitze des Demonstrationszuges gegen den Imperialismus zu marschieren.
Todo cambia!
Passt er nicht gut zu uns?
Wir unterbreiten ihm den Bedarf der Basisfrauen der Welt:
sich zu treffen
sich auszutauschen
sich zu vernetzen
sich anzufreunden
zu lernen –
organisiert
weltweit koordiniert
und gemeinsam zu kämpfen:
für Gleichberechtigung
für ein befreites Leben in einer befreiten Gesellschaft!
Todo cambia!
Wir machen einen Vorschlag an ihn,
vor allem aber an die Frauen der Welt:
15 Jahre nach Peking
2011
sollte das nicht unser Jahr sein?
das Jahr der Basisfrauen
das Jahr einer neuen Weltfrauenkonferenz
das Jahr eines neuen Aufbruchs
für die weltweite Befreiung der Frau.
Es ist ein Vorschlag.
Lasst ihn uns diskutieren.
Abwägen.
Nüchtern erörtern mit den Frauen der Welt.
Wahrhaftig kein Hexenwerk in der heutigen Zeit.
Visionen werden Wirklichkeit!
Nicht zuletzt, wenn Frauen vorwärts gehen:
widerspenstig, wagemutig und visionär –
für eine neue Welt!