Wir pflanzen die Sonne in den dunklen Wald
Abschlusserklärung des 9. Frauenpolitischen Ratschlags vom 1.10. – 3.10.2010 in der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf
„Wir pflanzen die Sonne in den dunklen Wald“ – sangen Frauen aus dem Iran beim internationalen Empfang des 9. Frauenpolitischen Ratschlags. Das Lied versinnbildlichte unsere Erkenntnisse, unsere neuen Erfahrungen und starken Gefühle während der internationalen Frauenversammlung am 1. und 2. Oktober 2010. Dort trafen sich Frauendelegationen aus mindestens 33 Ländern: aus Afrika – Marokko, Mali, Südafrika und dem Kongo! Aus Asien – Indien, Indonesien, Philippinen und Bangladesh! Aus den USA! Aus Lateinamerika – Ecuador, Venezuela, Argentinien, der Dominikanischen Republik und Haiti! Aus dem Nahen und Mittleren Osten – der Türkei, Kurdistan, dem Iran, Afghanistan, dem Irak und Palästina! Und schließlich aus Europa – den Niederlanden, Deutschland, Italien, Frankreich, Österreich, Portugal, Schweiz, Serbien, Groß-Britannien, Schweden, Belgien, Russland und Weißrussland!
Das Gros der Frauen kam aus diesen Ländern selbst und die Delegationen vervollständigen sich mit ihren Schwestern, die als Migrantinnen in anderen Ländern leben.
I
Dunkel im Wald ist es tatsächlich…
… wenn Frauen in Afghanistan gesteinigt, ihnen Nasen und Ohren abgeschnitten, sie gar verbrannt der Mädchen mit neun oder zehn Jahren verheiratet werden;
… wenn aus vielen Ländern jeden Tag Tausende Frauen und Mädchen das Land verlassen, um im Ausland Jobs im Haushalt oder als Kinderbetreuerin anzunehmen, oft als Illegale;
… wenn kämpferische Migrantinnen verstärkt Zielscheibe der „Antiterrorgesetze“ sind und in der Unsicherheit leben, ob sie dauerhaft bleiben können, anstatt gleichberechtigt an den sozialen, politischen und kulturellen Rechten teilzuhaben.
… wenn politische Gewalt Frauen und Mädchen lebensgefährlich bedroht wie im größten Gefängnis der Welt – in Gaza – oder in den Philippinen, wo in den letzten Jahren 1206 Aktivisten, Frauen und Männer, darunter 12 ungeborene Kinder, umgebracht wurden, 205 verschwunden sind, davon 31 Frauen, es 344 politische Gefangene gibt, darunter 61 schwangere oder alte Frauen;
… wenn brutale Polizeieinsätze wie gegen die Gegner von Stuttgart 21 in Deutschland demokratische Rechte mit Wasserwerfern ersäufen und Gesundheit, ja sogar das Leben der Demonstrantinnen und Demonstranten bedrohen
… wenn – wie in Singapur – eine rein antikommunistisch motivierte Gesetzgebung jedes demokratische Leben erstickt
… wenn Frauen und Kinder durch die Sexindustrie sexuell ausgebeutet werden
… wenn 4 Millionen – zu 80% ganz junge Arbeiterinnen ab 14 Jahren – in Bangladesh gezwungen werden, 16-18 Stunden am Tag zu arbeiten, in manchen Fabriken bis zu 20 Stunden oder gar Tag und Nacht ohne Pause, ohne Urlaub, ohne Sicherheitsstandards, ohne gewerkschaftliche Rechte – ja, wenn die Frauen nichts trinken, weil ihnen die Zeit zum Toilettengang fehlt;
… wenn viele Mädchen heute weltweit zwar einen besseren Zugang zu Bildung haben, sie aber bei der Bewerbung um Lehr – oder Arbeitsstellen gefragt werden, ob und wann sie Kinder haben wollen – weil sie dann für die Stelle untauglich wären;
… wenn heute in Deutschland der Umfang der unbezahlten Haus-, Pflege und Familienarbeit von Frauen der Bruttowertschöpfung der gesamten deutschen Industrie entspricht;
… wenn zwar die Frauenerwerbstätigkeit weltweit steigt, dies aber nur deshalb, weil sie Vorreiterinnen in Niedrigstlöhnen, Leih- und Zeitarbeit, höchster Flexibilität und niedrigster Arbeitssicherheit sein sollen;
…wenn wir als Frauen besorgt sind über die Entrechtung durch die europäischen Regierungen, die die Situation der Frauen, Migranten und Alten verschlechtert, was durch die Wirtschaftskrise noch verstärkt wird.
… wenn sowohl der Krieg als auch der „Frieden“ der imperialistischen Krake die Reichtümer der abhängigen Länder stiehlt, selbständige Entwicklung und das menschenwürdige Leben der Frauen verhindert.
II.
Wir bekräftigen, dass Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt das „Dunkel im Wal“ nicht widerspruchslos hinnehmen: „Wir wollen nicht das Opfer der Geschichte, sondern Akteurinnen der Zukunft sein“!
„Wenn wir die Hälfte des Himmels sind, dann sind wir auch die Hälfte des Kampfes“, sagen Sebahat aus Kurdistan und Yeter aus der Türkei und berichten vom massenhaften Zusammenschluss in eigenen Organisationsformen der Frauen und ihrer Kampagne, die sich gegen Vergewaltigungen, das Patriarchat und den Mangel an Frauenrechten wendet. Sie berichten: „Die kurdische Frauenbewegung hat auf einer Seite für die kurdische Befreiung gekämpft, aber gleichzeitig hat sie die Friedensbewegung erschaffen.“
Aus den USA berichten Frauen von neuen sozialen Bewegungen vor allem gegen die Kriegseinsätze in aller Welt. Als sich Sandra aus den USA und die Frauen aus Afghanistan umarmten, spüren wir das feste Band weltweiter Solidarität der kämpferischen Basisfrauen:
Fremde Truppen, raus aus Afghanistan, raus aus dem Irak, raus aus den Philippinen!
Aus der dominikanischen Republik hören wir von Agnes, wie eine wachsende, jugendliche Umweltbewegung erfolgreich den Bau einer Zementfabrik mitten im Regenwald verhinderte – und dabei neue kreative Formen des Widerstands entwickelte.
Aus Ecuador hören wir begeistert von Elena, dass die Frauen und Mädchen in einer starken Volksbewegung bereits acht volksfeindliche Präsidenten gestürzt haben.
Aus Venezuela erfahren wir von Dilia über fortschrittliche Gesetze, deren Verwirklichung aber nur durch die Kämpfe auf der Straße erreicht wurde. So, wenn es allein neun Gesetze gegen die Gewalt an Frauen gibt, aber Frauen immer noch Jobs verlieren, weil sie schwanger sind.
Aus Europa – den Niederlanden, der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Griechenland – hören wir, wie die kampferprobten Arbeiterinnen und Arbeiter nach dem Auslaufen der Krisenprogramme der tiefsten Weltwirtschaft- und Finanzkrise den Kampf aufnehmen um Arbeitsplätze, höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzung, Lehr- und Arbeitsstellen für die Jugend.
Und überall auf der Welt diskutieren Frauen über gesellschaftliche Alternativen, in denen mit dem Ende von Ausbeutung und Unterdrückung befreite Frauen in befreiten Gesellschaften leben werden.
III.
Wir hören, wie all diese Kämpfe nicht aus dem Nichts entstehen, sondern eindrucksvoll das weltweit gewachsene Frauenbewusstsein zum Ausdruck bringen:
Clariste aus Mali sagt: „Wir wollen aus der Ignoranz heraustreten, in die sie uns eingeschlossen haben. Wir wollen nicht die sein, die andere wollen, dass wir sind. Wir wollen, dass unser Schicksal nicht mehr in Washington, Paris oder Brüssel entschieden wird. 50 Jahre Verrat an unseren Visionen sind genug! 50 Jahre Ablenkung und Heuchelei sind genug! Wir wollen keine liberale Gleichheit, sondern Gerechtigkeit!“
Joan aus den Philippinen berichtet von ihrem Slogan: „Makibaka – habt keine Angst! Macht weiter mit dem Kampf! Denn wir haben die Erfahrung gemacht: wenn sie eine Frau einsperren oder umbringen, kommen früher oder später 10 neue Frauen, die sich am Kampf beteiligen.“
Die Bergarbeiterfrauen aus Deutschland fordern in einem eindringlichen Aufruf ihre Männer auf: „Rede mit mir! Probleme, Sorgen, Nöte und auch Schönes teilen wir, egal was ist, ich stehe zu Dir! Wenn Du Dich mir mitteilst, statt über die Probleme bei der Arbeit zu schweigen, können wir es schaffen, zusammen vieles besser machen!“
Aynur aus der Türkei, die wegen ihres Solidaritätsstreiks mit den Tekelarbeitern in der Türkei entlassen wurde, sagt: „Der Sieg wird dem Widerstand und den Frauen gehören!“ Beifall gab es auch für den Aufruf von Agnes: „Vereinen wir unsere Stimmen für die, die keine Stimme haben!“
Marijana aus Serbien, als Vertreterin der ‚Frauen in Schwarz‘, Belgrad, bringt es auf den Punkt: „Ich freue mich, dass die globalisierte Welt durch Frauen wie hier auf dem Frauenpolitischen Ratschlag ein anderes Gesicht bekommt: das Gesicht von starken, engagierten, aktiven Frauen für eine Welt, in der wir friedvoll miteinander leben können.“
IV.
So werden wir noch intensiver an dem begeisternden Vorhaben der Weltfrauenkonferenz der kämpferischen Basisfrauen 2011 in Venezuela arbeiten.
Gemeinsam gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Sexismus, Militarismus, Armut und Umweltzerstörung, Die Weltfrauenkonferenz soll den Verstand der Frauen, ihre Willenskraft verstärken und organisieren.
Wir schließen uns entschieden dem Aufruf der Initiatorinnen aus Asien, Afrika, Lateinamerika, Nordamerika, dem Nahen und mittleren Osten sowie Europa an. Darin heißt es:
„Ergreift die Initiative, setzt alle Eure Talente und Fähigkeiten dafür ein! Mobilisiert die Frauen und Mädchen! Finanziert das anspruchsvolle Projekt! Tragt gemeinsam die Vorbereitung in Eure Länder und schickt zahlreiche Unterstützende zu den internationalen Brigaden der Vorbereitung nach Venezuela! Verbindet die Vorbereitung der Weltfrauenkonferenz 2011 in Venezuela mit der nachhaltigen Stärkung der kämpferischen Frauenbewegung der Welt!
Auf nach Venezuela – wir sehen uns in Caracas vom 4.- 8. März 2011 und feiern den 100. Internationalen Frauentag!
Vamos!“
1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 9. Frauenpolitischen Ratschlages